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Wie der Wohlfahrtsstaat Schweden korrumpiert hat
Ältere Menschen in Schweden sagen, daß “schwedisch” zu sein bedeutet, für sich
selbst zu sorgen, auf sich selbst aufzupassen und niemals einem Anderen eine Last
zu sein. Unabhängigkeit und harte Arbeit war das allgemeine Verständnis von einem
anständigen Leben und dies prägte die allgemeine Auffassung von Moral. Das war
vor weniger als hundert Jahren.
Meine verstorbene Großmutter pflegte zu sagen, daß mit der Welt etwas falsch
gelaufen sei. Sie war stolz darauf, niemals um Hilfe gebeten zu haben, immer in der
Lage gewesen zu sein, sich auf sich selbst und ihren Mann verlassen zu können,
und daß beide ihr Leben lang für ihre Familie sorgen konnten. Ich bin glücklich
darüber, daß diese Würde unangetastet blieb, als sie im respektablen Alter von 85
Jahren verstarb. Sie war niemals eine Last.
Meine Großmutter, 1920 geboren, gehörte zur letzten Generation, die diesen
speziellen persönlichen Stolz pflegte, eine starke und tief verwurzelte moralische
Haltung zu haben, souverän durchs Leben zu gehen, komme was wolle--Herr
seines eigenen Schicksals zu sein. Die Menschen ihrer Generation erlebten und
ertrugen einen oder zwei Weltkriege (obwohl Schweden nie aktiv beteiligt war) und
wurden von armen schwedischen Bauern und Industriearbeitern großgezogen. Sie
waren Zeugen und die treibende Kraft des „schwedischen Wunders“.
Ihre moralische Festigkeit ermöglichte es ihnen, unter allen Umständen zu
überleben. Wenn ihr Einkommen kein Auskommen mehr ermöglichte, wurde eben
härter und länger gearbeitet. Sie waren die Architekten und Bauarbeiter des Aufbaus
ihres eigenen Lebens, auch wenn das oft harte Arbeit und das Ertragen scheinbar
hoffnungsloser Situationen bedeutete.
Sie boten bereitwillig denen, die in Not waren, ihre Hilfe an, auch wenn sie selbst
wenig hatten, aber nahmen ungern Hilfe an, wenn man sie ihnen anbot. Sie waren
stolz darauf, für sich selbst sorgen zu können, schätzten die Unabhängigkeit von
Anderen und die Tatsache, niemals um Hilfe bitten zu müssen. In ihrer Vorstellung
hatten sie kein Recht, um Hilfe zu bitten, wenn sie es selbst nicht schafften.
Doch irgendwie gaben sie den Versprechungen der Politiker nach, daß diese sich um
die “Schwachen” kümmern würden--eine Gruppe von Menschen, die es damals gar
nicht gab. Wer hätte denn schließlich damals zugegeben, nicht für sich selbst sorgen
zu können? Sie waren gutherzige, hart arbeitende Menschen und dachten
wahrscheinlich, daß eine kleine Gabe an die, denen es viel schlechter ging, eine
gute, samariterhafte Tat sei.
Theoretisch ist das vielleicht verständlich und sogar begrüßenswert. Sie und ihre
Eltern nahmen bereits freiwillig an lokalen Netzwerken teil, die finanzielle
Unterstützung für die Kranken oder Arbeitslosen bereitstellten. In schlechten Zeiten,
wie Rezessionen oder schnellem sozialem Wandel, war dies eine Last, aber es
geschah freiwillig und im eigenen Interesse. Eine großflächige Version derselben
Hilfe auf Gegenseitigkeit klang aber wohl wie eine gute Idee, auch wenn das mittels
Steuern per Zwang finanziert werden mußte.
Das Problem ist, daß damit der Wohlfahrtsstaat geschaffen wurde, der das Leben
der Menschen dramatisch veränderte und sich fundamental auf die moralische
Grundhaltung der Menschen auswirkte. Der Wohlfahrtsstaat hätte vielleicht ein
erfolgreiches Unterfangen werden können, wenn die Menschen ihren Stolz und die
Grundhaltung beibehalten hätten, für sich selbst zu sorgen und nur in wirklicher Not
um Unterstützung zu bitten.
Das heißt, daß es vielleicht funktionieren würde, einen Wohlfahrtsstaat in einer
ceteris-paribus-Welt einzurichten, was ja gerade die Annahme des Wohlfahrtsstaats
ist. Die Welt ist aber in einem ständigen Wandel begriffen und deswegen bräuchte
der Wohlfahrtsstaat stärkere und moralisch überlegene Menschen, im Vergleich zu
Gesellschaften ohne Wohlfahrtsstaat, um zu funktionieren.
Diese Einsicht aber bestand damals noch nicht--und tut es heute immer noch nicht.
Sie haben ihre eigene Haltung, wie den persönlichen Stolz in der Arbeit und der
Familie, als natürlich angesehen. Aus ihrer Sicht mußte es wie ein vernünftiges
Geschäft anmuten. Alles was sie zu tun hatten--so wurde ihnen erklärt--war, den
Politikern die Politik (und ein bißchen Macht) zu überlassen. Dieses Argument
scheint für die schwedische Bevölkerung wohl immer noch seine Gültigkeit zu haben,
so leid mir tut, das zu sagen. Schweden begrüßen generell Vorschläge, Politikern
mehr Macht zu geben und neigen sogar dazu, für eine höhere Besteuerung zu
stimmen.
Anstand und Moral sind längst Vergangenheit. Sie wurden in weniger als zwei
Generationen vollständig ausgemerzt--durch öffentliche Wohlfahrtsleistungen und
das Konzept sozialstaatlicher Rechte.
Die Kinder des Wohlfahrtsstaates
Die Kinder der Generation meiner Großeltern, u.a. meine Eltern, lernten schnell und
nahmen die neue Moral an, die auf sozialen „Rechten“ beruhte, die das
Sozialversicherungssystem ihnen bot. Während die alte Generation keine
Abhängigkeit von anderen (inklusive staatlicher Sozialleistungen) akzeptiert hätte,
hatten sie nichts dagegen, die noch jüngere Generation auf öffentliche Schulen zu
schicken, um ihnen Bildung angedeihen zu lassen. Ich bin mir sicher, daß sie nie
daran dachten ein „Recht“ darauf zu haben, daß ihre Kinder ausgebildet werden.
Nein, sie akzeptierten und begrüßten die Chance, daß ihre Kinder durch die
„kostenlose“ Schulausbildung Möglichkeiten haben würden, die sie selbst nie hatten.
So ging die Generation meiner Eltern auf öffentliche Schulen, wo ihnen Mathematik
und Fremdsprachen, aber auch die Überlegenheit des Wohlfahrtsstaates und die
moralische Intention des Staates gelehrt wurden. Sie lernten die Mechanismen des
Wohlfahrtsstaates und ein völlig neues (Miß-)Verständnis von Rechten: Alle Bürger
haben ein Recht--alleine auf Grund ihrer Eigenschaft als Bürger--auf Bildung,
Gesundheitsvorsorge, Arbeitsplätze und soziale Absicherung.
Ein Individuum zu sein, so wurden sie gelehrt, bedeute ein Recht auf die
Befriedigung persönlicher Bedürfnisse zu haben. Jeder, so sagte man ihnen, habe
ein Recht auf alle Ressourcen, die zum Streben nach persönlichem und
gesellschaftlichem Glück notwendig seien. Und jeder sollte ein Recht darauf haben,
die eigenen Kinder in staatliche Kindertagesstätten zu stecken, um es der Familie zu
ermöglichen, zwei Einkommen zu erzielen (aber nicht genug Zeit, um die eigenen
Kinder aufzuziehen). Diese Aussichten auf ein „gutes Leben“, zumindest finanziell,
müssen der älteren Generation großartig erschienen sein.
Diese neue Moral durchdrang das Volk und wurde zur “natürlichen“
Grundeinstellung, zumindest in ihren Köpfen. Diese Generation, geboren in den
ersten zwei oder drei Dekaden nach dem 2. Weltkrieg, entwickelte sich moralisch
und psychologisch völlig anders als ihre Eltern. Sie gewöhnte sich an das enorme
Nachkriegswachstum (das der schwedischen Neutralität während des Krieges zu
verdanken war) und die immer weiter wachsenden wohlfahrtsstaatlichen Rechte, die
ihnen der schnell wachsende Staatsapparat verlieh. (Um das Wachstum des
Sozialstaates aufrechtzuerhalten und den Forderungen nach sozialstaatlichen
Wohltaten nachkommen zu können, entwertete die schwedische Regierung übrigens
die Währung mehrere Male in den 70er und 80er Jahren.)
Das Aufwachsen dieser Generation und ihr Eintritt in den Arbeitsmarkt hatte
hauptsächlich zwei Auswirkungen: ein höherer gesellschaftlicher Druck hin zu einer
„fortschrittlichen“ Politik und das großflächige, landesweite Scheitern, unabhängige
und moralisch gefestigte Kinder großzuziehen, die in der Lage sein würden, ihr
eigenes Leben zu meistern.
Jetzt wurden die moralischen und philosophischen Umwälzungen in der Gesellschaft
offensichtlich. Während im frühen 20. Jahrhundert die Sozialdemokratie, eine
hegemoniale Macht in der schwedischen Politik in eben jenem Jahrhundert (und
danach), noch Steuererleichterungen forderte, um Arbeiter von einer unnötigen
Bürde zu entlasten, so wandelte sie sich nun schnell in eine steuererhöhende,
wohlfahrtsstaatliche Partei, die nach immer mehr „liberalen“ Sozialreformen rief. Die
Wählermassen, in der wohlfahrtsstaatlichen Logik des Staates erzogene Kinder,
unterstützten die Steuererhöhungen, die schnell auf 50% und höher stiegen. Und sie
riefen nach sozialen Wohltaten auf Kosten der Steuerzahler, um die
Steuererhöhungen auszugleichen und diese zu übertreffen.
Der Politikwechsel war massiv, als die Kinder des Wohlfahrtsstaates heranwuchsen
und begannen, am politischen Leben teilzuhaben. Die reichlich kommunistisch
angehauchten Studentenrevolten von 1968 waren wohl der Höhepunkt dieser
radikalen Generation, die über staatliche Umverteilung mehr für sich einforderte. Sie
beanspruchten keinerlei Eigenverantwortung für ihr Leben, noch dachten sie je
daran, sich darum zu kümmern. „Ich bin bedürftig“, sagten sie, und von diesem
Anspruch leiteten sie ein unmittelbares Recht auf dessen Befriedigung ab--sei es
Verpflegung, Unterkunft oder ein neues Auto.
Während meine Eltern seltsamerweise viel von der “alten” Moral geerbt zu haben
scheinen, sind viele Menschen ihres Alters, besonders aber die jüngeren,
grundverschieden von ihren Großeltern. Sie sind Kinder des Wohlfahrtsstaats und
sich der sozialen Wohltaten voll bewußt, auf die sie meinen, ein „Recht“ zu haben.
Sie denken nicht darüber nach, woher diese Wohltaten kommen, sind aber Politikern
gegenüber mißtrauisch, von denen sie glauben, daß diese sie ihnen wegnehmen
könnten. „Wandel“ wurde schnell ein Unwort, da es notwendigerweise einen Wechsel
im System bedeutet, von dem die Menschen parasitär abhängig sind.
Mit dieser Generation wurde die ehemalige Wahrheit, daß Produktion vor dem
Konsum kommt, durch die Überzeugung ersetzt, daß jeder ein unverletzliches und
natürliches “Menschenrecht” auf soziale Transferleistungen vom Staat habe. Über
die mächtigen Gewerkschaften wurden angestellten Schweden jedes Jahr,
unabhängig vom Produktivitätswachstum, Lohnerhöhungen zugebilligt und so
wurden jährliche Gehaltserhöhungen nach kurzer Zeit normal. Wer keine bekam,
begann sich selbst als vom bösen Arbeitgeber „bestraft“ zu betrachten. Man hat ein
„Recht“ auf ein besseres Gehalt im nächsten Jahr, so wie das diesjährige Gehalt
höher als das des letzten Jahres sein mußte, so die Logik.
Diesem Wandel in der Wahrnehmung ging, wie wir gesehen haben, ein Wandel in
den Werten voraus. Dieser gesellschaftliche Umbruch veränderte auch die
philosophischen Grundbedingungen, und so kamen neue, seltsame und
zerstörerische Theorien auf. Die Kinder dieser Generation, geboren in den 70ern,
80ern und 90ern, genossen normalerweise eine „freie“ Erziehung (basierend auf den
Idealen von 1968), was im Kern eine Kindheit „frei von Regeln“ und „frei von
Verantwortung“ bedeutete. Für diese Generation existieren keinerlei
Kausalzusammenhänge im gesellschaftlichen Leben. Was auch immer du tust, es
liegt nicht in deiner Verantwortung--nicht einmal das Kinderkriegen. So sind die
heutigen jungen Erwachsenen in Schweden.
Die Enkelkinder des Wohlfahrtsstaats
Ich selbst gehöre dieser zweiten Generation an, groß geworden mit und erzogen
vom Wohlfahrtsstaat. Ein signifikanter Unterschied zwischen meiner und der
vorherigen Generation ist der, daß die meisten von uns überhaupt nicht von ihren
Eltern erzogen wurden. Wir wurden seit unserer frühen Kindheit vom Lehrkörper in
den staatlichen Kindertagesstätten erzogen, dann in staatliche Grundschulen
geschoben, in staatliche Oberschulen und staatliche Universitäten und noch später in
den öffentlichen Dienst, wo dann noch mehr Erziehung durch die mächtigen
Gewerkschaften und deren Bildungsträger auf uns wartet. Der Staat ist omnipräsent
und für viele der einzige Weg, sich zu ernähren--und seine Wohlfahrtsleistungen der
einzig mögliche Weg, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen.
Der Unterschied zur älteren Generation ist frappierend. Meine Großeltern lebten in
einer philosophisch und moralisch völlig anderen Welt, und meine Eltern tragen
immer noch Reste des „alten“ Gerechtigkeitssinns und des klaren Empfindens ihrer
Eltern zwischen „richtig“ und „falsch“ zu unterscheiden. Während der Wandel auf
meine Eltern nur „in Teilen“ (was schlimm genug ist) abgefärbt hat, so ist meine
Generation vollkommen versaut. Dadurch, daß sie nicht mit den gesunden Werten
ihrer Großeltern aufgewachsen sind, sondern mit denen, die der bemutternde Staat
propagiert, haben die Enkelkinder des Wohlfahrtsstaates keinerlei Verständnis für
ökonomische Zusammenhänge.
Eine unter den “Enkeln” weit verbreitete Auffassung von Gerechtigkeit ist die, daß
Individuen einen ewigen Anspruch gegenüber der Gesellschaft haben, für all das zu
sorgen, was man für notwendig (oder angenehm) hält. In einer kürzlich
ausgestrahlten Diskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehen trafen sich Kinder und
Enkel des Wohlfahrtsstaates, um das Problem der Arbeitslosigkeit und die
verbreiteten Schwierigkeiten, mit denen junge Menschen beim Eintritt in den
Arbeitsmarkt konfrontiert werden, zu diskutieren. Die Forderung der „Enkel“ war
wortwörtlich, daß die „Alten“ (geboren in den späten 40ern, 50ern und 60ern) beiseite
treten sollten (also aufhören sollten zu arbeiten), weil sie den Jungen Arbeit
„stehlen“!
Die “wohlfahrtsstaatliche Logik”, mit der solche unverschämten Forderungen
gerechtfertigt werden, funktioniert in etwa so: Die Prämisse ist, daß jeder ein Recht
auf ein schönes Leben hat. Daraus folgt, daß ein „schönes Leben“ darin besteht, sich
keine Sorgen um das materielle Wohl machen zu müssen und daher
Wohlfahrtsleistungen und finanzielle „Unabhängigkeit“ unabdingbar seien. Finanzielle
Unabhängigkeit hingegen setzt einen hochgestellten, gut bezahlten, nicht zu
anstrengenden Job voraus. Ein guter Job ist also ein unerschütterliches
Menschenrecht. Die Leute, die momentan diese Jobs haben, besetzen diese Stellen
und sind daher im Weg--jeder Einzelne von ihnen verletzt mein Recht auf diesen
Job. Das macht jeden, der einen guten Job hat, zu einem Rechteverletzer und damit
zu einem Kriminellen.
Wir wissen alle, was man mit Kriminellen tun sollte: Sie sollten weggesperrt werden.
Diese Strafe ist das, was eine noch sehr kleine aber schnell wachsende Zahl von
jungen Menschen in Schweden fordert--für Unternehmer, die sie nicht einstellen
wollen oder ältere Menschen, die die Positionen besetzen, die sie selbst haben
wollen. Es besteht daher ein “Bedarf“ nach mehr „fortschrittlicher“ Gesetzgebung.
Aber das ist nicht nur eine Idee, die von ignoranten Jugendlichen unterstützt wird.
Am 14. Mai 2006 forderte die nationale Handelsgewerkschaft, daß der Staat
Arbeitsplätze „umverteilen“ möge, indem er Menschen mit 60 staatliche Rente
anbietet, wenn diese aus dem Arbeitsleben ausscheiden und ihre Arbeitgeber
stattdessen junge Arbeitslose einstellen. In der Arithmetik der Gewerkschaft würde
diese Aktion 55.000 Arbeitsplätze „schaffen“.
Das zeigt, daß für junge Leute der einzig vorstellbare Weg, einen Arbeitsplatz zu
finden, der zu sein scheint, Ältere von ihren zu „erlösen“. Arbeitsplätze sind nämlich
rar und die Arbeitslosigkeit steigt--dank der massiven regulatorischen Eingriffe des
Staates in den Arbeits(markt). Der Wohlfahrtsstaat schafft auf vielen Ebenen
Probleme und Konflikte und zwingt die Menschen dazu, um Stücke eines immer
weiter schrumpfenden Wohlstands zu wetteifern. Die Lösung: mehr Regulierung und
noch weniger Wachstum. Das kommt dabei heraus, wenn Bedürfnis und Anspruch
Verdienst und Erfahrung in der persönlichen und öffentlichen Moral ersetzen.
Die Forderung nach sozialer Verantwortung
Diese degenerierte Moral und das fehlende Verständnis um die realen und
natürlichen Zusammenhänge offenbaren sich auch auf Gebieten, die eine
persönliche Verantwortung und den Respekt für die Mitmenschen verlangen. Die
jüngeren Generationen glauben, ein „Recht“ darauf zu haben, sich nicht um die
eigenen Eltern und Großeltern kümmern zu müssen und fordern daher vom Staat,
daß er sie von dieser Last zu befreien habe.
Folgerichtig leben die meisten Senioren in Schweden deprimiert und alleine in ihren
Häusern, wo sie auf den Tod warten, oder sie werden in öffentlich kollektive
Seniorenverwahranstalten mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung eingewiesen, um die
Last für die jüngeren, arbeitenden Generationen zu mildern. Manche sehen ihre
Enkel und Verwandte nur ein oder zwei Stunden an Weihnachten, wenn die Familien
sich die Mühe machen, ihre „Problemfälle“ zu besuchen.
Aber die älteren Menschen sind nicht die einzigen, die sich am Rande der
Wohlfahrtsgesellschaft wiederfinden, während der Staat sich um seine arbeitende
Bevölkerung kümmert. Dasselbe Schicksal teilen auch die Allerjüngsten, die auch
beim Staat zur öffentlichen Pflege abgegeben statt von ihren Eltern großgezogen
werden.
Meine Mutter, Lehrerin an einer Mittelschule, ist mit der Forderung von Eltern ihrer
Schulkinder konfrontiert worden, doch bitte „etwas“ gegen deren stressige familiäre
Situation zu unternehmen. Sie verlangen von der „Gesellschaft“, die Verantwortung
für die Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen, da sie schon „zu viele Jahre“ damit
verbracht hätten, für sie zu sorgen („für sie sorgen“ heißt in der Regel, sie um 7:00
bei der Kindertagesstätte abzuladen und sie um 18:00 wieder abzuholen).
Sie betonen lautstark ihr “Recht”, von dieser Last erlöst zu werden. Die häuslichen
Probleme, verursacht durch ungehorsame, außer Kontrolle geratene Kinder, sollen in
den Klassenzimmern durch die Lehrer und in den Tagesstätten durch das
Kindergartenpersonal gelöst werden. Kinder sollen sicht- aber nicht hörbar sein und
sie dürfen unter keinen Umständen das Recht ihrer Eltern auf eine Karriere, lange
Urlaube im Ausland und soziale Events verletzen.
Um die erwachsene Bevölkerung in Arbeit zu halten und sie den Wohlstand schaffen
zu lassen, der dann besteuert werden kann (aktuell liegen die
Einkommensteuersätze für niedrige Einkommen bei ungefähr 65%), schafft der
schwedische Wohlfahrtsstaat permanent neue „fortschrittliche“ Programme, um sie
vor Unfällen und sonstigen Problemen zu schützen. Wohlfahrtsstaatliche Freiheit ist
ein problemfreies, verantwortungsfreies und an sozialen Wohltaten reiches Dasein,
geschaffen vom Wohlfahrtsstaat.
Was wir aktuell in Schweden erkennen, ist die völlig logische Konsequenz des
Wohlfahrtsstaates: Wenn durch erhaltene Vergünstigungen die individuelle
Verantwortung für das eigene Leben delegiert wird, schafft man damit eine neue Art
Mensch--unreif, verantwortungslos und abhängig. Was der Wohlfahrtsstaat
tatsächlich geschaffen hat, ist eine Bevölkerung von psychologischen und
moralischen Kindern--wie Eltern, die ihre Kinder vor jedem Problem abschirmen, sie
nie Verantwortung übernehmen, nie eigene Lösungswege finden lassen und damit
ihre Kinder bedürftig, verwöhnt und immer fordernder werden lassen.
Die Analogie zum verwöhnten Kind bestätigt sich im Alltag der Menschen, die im
öffentlichen Sektor arbeiten und mit Forderungen der Bevölkerung konfrontiert
werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es unter jungen Eltern nichts
Ungewöhnliches ist, den Lehrern vorzuwerfen, daß Hausaufgaben einen „unnötigen“
Druck auf Kinder ausübten. Die Kinder haben ein Recht auf Wissen, aber sie sollen
offenbar keiner Erziehung ausgesetzt werden, denn diese erfordert Mühe und
Anstrengung. Die Rolle der Lehrer scheint zu sein, die Kinder mit Wissen zu
versorgen, das diese unreflektiert und ohne nachdenken zu müssen (geschweige
denn mühevoll zu lernen), konsumieren können. Etwas selbst tun zu müssen, ist
„Unterdrückung“. Jedes „Müssen“, selbst als Folge von Naturgesetzen, ist
ausgesprochen unfair und eine Verletzung des eigenen Rechts auf ein problemfreies
Leben.
Die Natur selbst, mit all ihren Gesetzmäßigkeiten, wird zur Last.
Ökonomie der Abhängigkeit
Vielleicht erklärt diese Mentalität die wachsende Beliebtheit von
wirklichkeitsfeindlichen Theorien wie “Skeptizismus” und “Post-Modernismus”, wo
nichts als selbstverständlich angesehen wird. Logik, so wird postuliert, ist nur ein
soziales Konstrukt, das keinerlei Verbindung mit der Wirklichkeit oder der Welt hat
(wenn eine solche überhaupt existiert). Diese Theorien sind toll, da sie niemals
bewiesen--oder widerlegt--werden können. Was auch immer du sagst, du mußt
nie die Verantwortung für deine Aussage übernehmen, niemand kann sie kritisieren
oder gar nutzen. Sie ist deine und sie existiert nur für dich--und ist nur für dich wahr.
Die Nutzlosigkeit solcher Theorien sollte eigentlich offensichtlich sein. Ebenso klar
sollte sein, daß die Verfechter dieser Theorien sehr wohl einige Dinge für
selbstverständlich halten, wie die eigene Existenz an sich--sie selbst leben ihr
Leben nie nach der Prämisse, daß alles bezweifelt werden müsse und in dem
„Wissen“, daß man selbst nichts wissen könne, daß also nichts sei, wie es scheint.
Aber das, so scheint es, ist wohl gerade der Reiz an der Sache.
In gewissem Sinne wurde die Prämisse der ‚Österreichischen Schule’ der
Nationalökonomie, daß „Werte subjektiv seien“, ein bißchen zu wörtlich genommen.
In diesen „modernen“ Theorien ist Subjektivität das fundamentale Prinzip der
Wirklichkeit, nicht die Art, wie die Wirklichkeit wahrgenommen und gesehen wird.
Dieses „Verständnis“ ist eine direkte Folge der relativistischen Moral und
relativistischen Logik der Kinder und Kindeskinder des Wohlfahrtsstaates. Man
braucht niemanden, der produziert, damit ein anderer konsumieren kann--und ich
belaste nicht zwangsläufig einen anderen, damit die Güter geschaffen werden, die
ich benötige, um ein „angenehmes“ Leben zu führen. Schließlich ist ein angenehmes
Leben ein Menschenrecht und dieses Recht ist der einzige Fixpunkt in einem ewig
wandelbaren und subjektiv begründeten Universum.
Aus der Sicht eines Beobachters (und als solcher sehe ich mich) macht dieser ganze
Wahnsinn durchaus Sinn--indem ich die Menschen lehre, daß sie sich keine Sorge
um die Folgen ihres Handelns machen müssen, schaffe ich freiwillig abhängige
Subjekte. Der Wohlfahrtsstaat hat die egoistischen Monster geschaffen, vor denen er
uns zu schützen vorgibt--indem er Privilegien und Wohltaten an jedermann auf
„niemandes“ Kosten verteilt.
Die Sozialingenieure des Wohlfahrtsstaates haben offensichtlich nie einen möglichen
Wandel in der moralischen Anschauung bedacht--sie wollten einfach nur ein
System, das Sicherheit für alle garantiert; ein System, in dem die Fähigen arbeiten
und sich versorgen könnten und sollten, wo aber auch die Benachteiligten würdevoll
leben könnten. Wer hätte gedacht, daß die fortschrittlichen Reformen zur Sicherung
der Rechte und des Wohlstandes der Arbeiter im frühen 20sten Jahrhundert solche
philosophischen und moralischen Rückschläge zeitigen würden?
Es ist offensichtlich, daß nichts kam, wie es erwartet wurde--die Gesellschaft war
schlicht nicht so vorhersehbar, wie dies vorhergesagt wurde.
Diese neue Moral ist das offensichtliche Gegenteil der Moral der Generation meiner
Großeltern. Es ist eine Moral, die behauptet, daß Unabhängigkeit nur erreicht werden
kann, indem Verantwortung auf andere übertragen wird, und daß Freiheit nur erzielt
werden kann, indem man andere (und sich selbst) versklavt. Das Ergebnis dieser
degenerierten Moral ist auf gesellschaftlicher Ebene ein ökonomisches, soziales,
psychologisches und philosophisches Desaster.
Es ist aber auch eine persönliche Tragödie für viele tausend Schweden. Offenbar
sind die Menschen nicht dafür geschaffen, ein Leben zu genießen, wenn sie nicht die
Verantwortung für ihre eigenen Taten und Entscheidungen tragen, und es ist
unmöglich Stolz und Unabhängigkeit zu empfinden, wenn man nicht die Mittel hat,
das eigene Leben zu steuern. Der Wohlfahrtsstaat hat ein Volk geschaffen, das
buchstäblich unfähig ist, dem eigenen Leben einen Wert abzugewinnen. Es sieht
sich selbst damit konfrontiert, unfähig zu sein, urmenschliche Regungen wie Stolz,
Ehre und Mitgefühl zu empfinden. Diese Gefühle sind, zusammen mit den Mitteln
und Wegen, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben, vom Wohlfahrtsstaat
übernommen worden.
Vielleicht erklärt das, warum ein großer Teil der jungen Bevölkerung Antidepressiva
konsumiert, ohne die sie unfähig wäre, im sozialen Umfeld normal zu funktionieren.
Vermutlich erklärt das auch, daß die Zahl der Selbstmorde unter den ganz jungen
Menschen, die ihre Eltern nie wirklich kennengelernt haben, dramatisch ansteigt
(während die Gesamtzahl der Selbstmorde in etwa stabil bleibt). Aber die Menschen
sind immer noch völlig unfähig, das Problem zu sehen oder eine Lösung zu finden.
Wie verwöhnte Kinder rufen sie nach „Hilfe“ durch den Staat.
Das hat meine Großmutter nie verstehen können. Möge sie in Frieden ruhen.
Translation to German by Fabio Bossi
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